Die säulenförmigen Briefkästen des Senats und der Abgeordnetenkammer: die Werke eines Abgeordneten!

Der Senat und die Abgeordnetenkammer haben beide jeweils einen säulenförmigen „Briefkasten“ aus geädertem weißem Marmor. Der Briefkasten des Senats befindet sich auf dem Treppenabsatz in der Nähe des Plenarsaals, jener der Kammer am Ausgang zur Rue de Louvain.

Diese Briefkästen sind sehr alt. Sie stammen wahrscheinlich aus den Jahren 1870-75. Möglicherweise waren dies die ersten Briefkästen im Palast der Nation - denn vorher, wie überall in Belgien vor 1850, musste Post auf dem Postamt aufgegeben werden.

 

gusseisern Briefkasten

Erst im Jahr 1849 wurde die Vorfrankierung der Post eingeführt. Damit war es nicht länger erforderlich, seine Post auf dem Postamt stempeln zu lassen. Und ab diesem Zeitpunkt bestand natürlich die Nachfrage der Bevölkerung nach Briefkästen in der Nachbarschaft, um ihre frankierte Post dort aufzugeben.

quadratische rote Briefkasten

Von 1850-52 wurden in den Städten gusseiserne Briefkästen eingeführt. Bis 1860 hatte die Post bereits mehr als 3.000 Briefkästen im Königreich, vorzugsweise an öffent­lichen Orten wie Rat­häusern oder Kirchen, aufgestellt. Diese Brief­kästen waren zunächst zylinderförmig und ab 1860 mit einem Löwen und der Aufschrift „lettres-brieven“ und „imprimés-drukwerk“ versehen. Im Jahr 1897, dem Jahr des Inkrafttretens des Postgesetzes, das der Regierung die Leerung von Briefkästen, die Beförderung und die Verteilung von Korrespondenz überträgt, wurde ein quadratisches Modell eingeführt, das in Rot, der Farbe der Postfahrzeuge, lackiert war.[ 1 ]

Die säulenförmigen Briefkästen des Senats und der Kammer wurden als dekorative Elemente des Palastes der Nation konzipiert. Der erste trägt eine Pendeluhr, deren Sockel im Marmor befestigt ist. Auf dem zweiten steht eine Statue von Minerva, der römischen Göttin des Handwerks, die im Laufe der Zeit Athene gleichgestellt wurde, der griechischen Göttin der erhabenen Gedanken, der Weisheit, der Strategie und der Intelligenz.

Briefkasten des Senats

In ihrem mittleren Teil sind die beiden Briefkästen auf die gleiche Weise verziert: eine an Knöpfen aufgehängte Blumengirlande (im Stil der Eingangstore zum Königlichen Park von Brüssel), Rillen mit Knoten und horizontale Liktorenbündel.

Der Briefkasten des Senats ist unten mit einer Marmortafel mit eingraviertem Posthorn versehen - neben der Öffnung zum Einschieben von Briefen das einzige Attribut, das die Säule als Briefkasten kennzeichnet. Eine seitliche Öffnung ermöglicht die Entnahme der Post.

Die belgische Krone und der belgische Löwe, die man im Parlament - wo sie allgegenwärtig sind - hätte erwarten können, sind hier nicht zu sehen. Auch die Unterscheidung zwischen Briefen und Drucksachen erübrigt sich, da die Post aus dem Parlament damals ohnehin Vorrang hatte. Da allerdings jede Versammlung ihre eigene Postleitzahl (1008 und 1009) hatte, mussten zwei Briefkästen bereitgestellt werden (wie es mindestens einen für jede belgische Gemeinde gab).

Briefkasten der Abgeordnetenkammer

 

Wir wissen auch, wer diese säulenförmigen Briefkästen geschaffen hat: Sie sind das Werk des renommierten Parlamentsabgeordneten Louis Bertrand. Er gründete im Jahr 1885 die Zeitung Le Peuple und im selben Jahr zusammen mit Edouard Anseele die Belgische Arbeiterpartei. Von 1894 bis 1926 war er Mitglied der Belgischen Abgeordnetenkammer.

In der Presse wird in den Nachrufen immer wieder daran erinnert, dass er seine Parlamentspost in einem von ihm eigenhändig gestalteten Kasten deponierte.[ 2 ] Seine nationale Biografie weist darauf hin, dass er die Schule nur bis zu seinem 12. Lebensjahr besuchen konnte. Danach musste er mithelfen, seine Familie zu ernähren, indem er zunächst Zeitungen verkaufte und dann Steinmetz wurde. Der talentierte Louis wurde daraufhin bald von einem Marmorarbeiter in der Chaussée de Haecht (vermutlich bei V.J. André) angestellt. Und dort fertigte er zwischen 1870 und spätestens 1878 [ 3 ] die Säulenbriefkästen des föderalen Parlaments - ohne zu ahnen, dass er sie eines Tages benutzen würde!

  1. Ein herzlicher Dank geht an Michel Mary, ehemaliger Leiter des Postmuseums, für seinen Artikel über „La petite histoire des boîtes aux lettres“ (kleine Geschichte des Briefkastens) und seine Analyse. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bpost hatte uns bereits mitgeteilt, dass die Briefkästen des föderalen Parlaments nicht „Standard“ seien. Dies ist übrigens der Grund, warum Bpost sie künftig nicht mehr leeren möchte. Siehe auch die Mitteilung zum „Tag der Briefmarke 1977“ und die Briefmarkenausgabe mit dem Bild des zylindrischen Briefkastens. [ zurück ]
  2. Beispielsweise in La Province de Namur, 22. Juni 1943. [ zurück ]
  3. Es ist bekannt, dass der Senat die Pendeluhr auf der Säule im Jahr 1879 erwarb. [ zurück ]